Zwei Idealisten auf Vogelpirsch
Die Idee nimmt Fahrt auf!
Die Reaktionen auf zwei interessante Berichte in der Stuttgarter, wie Ludwigsburger Zeitung beflügeln uns, unsere Initiative „Vogelfreundlicher Lebensraum“ weiter voranzubringen und mit Prämierungen einen Anreiz zu schaffen, naturnaher zu gestalten, doch lesen Sie selbst.
STUTTGARTER ZEITUNG
Nr. 152 | Donnerstag, 4. Juli 2024
Zwei Idealisten auf Vogelpirsch
Die Korntal-Münchinger Thomas Scharr und Carsten Heimann lieben die Natur – und vor allem Vögel. Ihr Projekt soll andere mit ihrer Freude anstecken.
Von Stefanie Köhler
Der Frosch lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Regungslos sitzt er im Teich auf einem Blatt. Weder Betrachter scheinen ihn zu stören noch der Straßenlärm. Der recht laut sein kann in der Motorstraße im Industriegebiet in Stuttgart- Weilimdorf. Wo Autos fahren, Motorräder knattern, Lastwagen rumpeln. Und wo Thomas Scharr und Carsten Heimann aus Komtal und Münchingen nicht nur arbeiten, sondern auch grüne Oasen gestalten, Lebensräume für Tiere. Ein solches Habitat haben sie an ihrem Arbeitsplatz in der Motorstraße errichtet.
Thomas Scharr hat die Initiative „Vogel-freundlicher Lebensraum“ gegründet, Carsten Heimann unterstützt ihn bei der Realisierung. „Das Projekt soll all diejenigen stärken und motivieren, die naturnahe Bereicheschaffen und zum Erhalt unserer Gartenvö-gel beitragen“, sagt Thomas Scharr.
Er fackelte nicht lange. Er nahm Kontakt mit dem Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern auf, mit örtlichen Verbänden, entwarf eine Plakette — 50 Stück hat er fürs Erste produziert – und holte sich Carsten Heimann an die Seite, Experte für ökologischen Garten- und Landschaftsbau. Rund 2500 Euro hat er investiert – und ganz viel Zeit. „Unser Idealismus, unsere Liebe zur undFreudeander Naturtreiben unsan“, sagt Thomas Scharr und lacht.
Gemeinsam haben die Männer mittlerweile gut zehn Gärten ausgezeichnet, die naturnah und besonders vogelfreundlich gestaltet sind. Die für die Gartenbesitzer kostenlose Plakette sei eine Wertschätzung und ein Dankeschön. „Wir wollen die Leute bestärken, die schon aktiv sind“, sagt Thomas Scharr. Er stelle fest, wie froh manche Menschen darüber seien, dass sie nun auch nach außen vermitteln können, warum ihr Garten so unaufgeräumt ist —- was Vögel mögen.
„Mit der Plakette möchten wir ein Umdenken in Gang setzen und die Akzeptanz für etwas mehr Wildnis vor der eigenen Haustür erhöhen“, sagt Thomas Scharr: Wer das Schild bei anderen sieht, wird vielleicht ermutigt und angeregt, auch im eigenen Garten etwas für die Artenvielfalt zu tun. „Das Schild wirkt, das Thema kommt langsam ins Bewusstsein.“ Was umso wichtiger sei angesichts der Tatsache, dass es immer weniger heimische Vögel gebe, angesichts des Artensterbens insgesamt. „Mit unseren Gartenvögeln verschwindet auch unsere Lebensqualitätunwiderruflich, Wirkönnen nicht warten, wir müssen handeln. Das ist unsere Motivation“, sagt Thomas Scharr.
Zehn Gärten haben die Naturliebhaber Thomas Scharr und Carsten Heimann bereits prämiert. Die Plakette „Vogelfreundlicher Lebensraum“ gibt es kostenlos.
Die Botschaft der Vogelfreunde lautet: Mankann immer anfangen, etwas zu tun, zur Artenvielfalt kann jeder beitragen – und mit wenig Aufwand viel erreichen. Bevor sich Vögel auf dem Balkon hier eignen sich Balkonkästen – oder im Garten ansiedeln, braucht es Insekten. Die lockt man zum Beispiel mit Blumen an, mit einer Ecke mit Brennnesseln oder einem Haufen Totholz, sagt Carsten Heimann. Je mehr unterschiedliche Strukturen vorhanden sind, desto besser. Der 55-Jährige empfiehlt, grundsätzlich nur heimische Pflanzen zu nutzen. Die seien den hiesigen Wetterbedingungen angepasst, und auf sie seien die Insekten eingestellt. Carsten Heimänns Tipp: Um mit Pestiziden belastete Pflanzen, etwa aus Afrika, zu vermeiden, kauft man am besten in regionalen Gärtnereien oder bei Naturschutzverbänden ein. Auf Efeu und Beerensträucher fliegen Vögel ebenso wie auf Asthaufen, Laub auf dem Boden, Komposthaufen und Natursteinmauern.
Wer Interesse an einer Plakette hat, der nimmt Kontakt zur Initiative auf. Carsten Heimann begeht, bewertet und prämiert die Gärten, gibt Tipps und macht unter Umständen Verbesserungsvorschläge. Die Grünbereiche müssen unterschiedliche‘ Kriterien erfüllen, die sich am bayerischen Modell orientieren. Es gibt Muss-, Ausschluss- und Plus-Kriterien. „Naturnahe Gärten dienen als Trittsteine im Biotopverbund“, sagt Carsten Heimann. Die Vernetzung der Privatgärten entspräche einem Viertel aller Naturschutzflächen in Deutschland.
Klar, dass Thomas Scharr und Carsten Heimann mit gutem Beispiel vorangehen. „Wir reden nicht nur, wir handeln auch.“ Besagter Teich in Weilimdorf war vor mehr als 20 Jahren erst eine Müllhalde und später ein Schotterparkplatz. Tiere nahmen neue Lebensräume schnell an, sagt Thomas Scharr. Lebensraum, den Menschen Tieren durch Bebauung entziehen, müsse zurückgegeben werden – „oder aber man muss die Flächen, die man hat, wertvoller machen“, findet der 61-Jährige.
Dann zeigt Thomas Scharr auf den Muschelkalk, den Eidechsen und Blindschleichen lieben, auf Haselnuss, Holunder und Pfaffenhütchen, die Vögel schätzen – die Insektenfresser sind und bedeutsam fürs Ökosystem. Wildrosen blühen außerdem, und seit mehr als 20 Jahren wächst die Linde. Im Frühjahr quaken die Frösche richtig laut, berichtet Thomas Scharr. „Sie lieben den Straßenlärm. Wenn sie Motorräder hören, geben sie ein Konzert.“ Auch Libellenarten beobachtet Thomas Scharr am Teich. „Einen Eisvogel haben wir schon hier gehabt, aktuell sehen wir Schilfrohrsänger.“
Thomas Scharr und Carsten Heimann geraten beim Anblick der grünen Oase geradezu ins Schwärmen. Sie sprechen von Lebensfreude. „Es ist toll, Natur vor der Tür zu haben“, meint Thomas Scharr. Ohnehin würden Naturerlebnisse zufriedener und glücklicher machen. „Wenn wir die Menschen im Herzen erreichen, ist die Motivation vorhanden, die ersten Schritte zutun.“
Mehr Informationen dazu: scharrbuero.de/vogelfreundlicher-lebensraum/
Zusätzlich können Sie den Artikel auch auf der Webseite der Stuttgarter Zeitung lesen: Artikel in der Stuttgarter Zeitung.